Stell dir vor, es ist Europameisterschaft und niemand interessiert sich dafür. In den vergangenen Tagen musste ich mir dies nicht vorstellen, ich durfte es erleben. Der etwas andere Auftaktbericht, live aus einem buddhistischen Meditationszentrum.
Nach über drei Jahrzehnten Trikot-Totto und damit verbundenen 32 Jahren EM- und WM-Overdrive von der ersten Sekunde an, verpasste ich dieses Jahr gleich die ersten drei Spieltage komplett, da ich mich versehentlich für die Mithilfe-Tage im buddhistischen Meditationszentrum Beatenberg anmeldete. Wobei das Versehen selbstverständlich nicht in der Anmeldung, sondern bloss im Datum zu finden ist. Diese Mithilfe-Tage fanden nämlich genau jetzt, während der Startphase der Europameisterschaft 2024 statt!
Da waren wir also über 20 freiwillige Helfer sowie das Hausteam, welche während vier Tagen Haus und Garten auf Hochglanz brachten und sich dabei u.a. in Achtsamkeit, Dankbarkeit (und Putzen) übten. Eine wunderschöne Erfahrung, speziell auch, weil man von lauter Menschen umgeben ist, die das Glas weder halbvoll noch halbleer sehen. Es überläuft sprudelnd.
Was jedoch ebenfalls alle gemeinsam hatten: Die Fussballeuropameisterschaft fand nicht statt. Sie musste weder ignoriert noch boykottiert werden. Sie fand schlicht nicht statt! Als ich beispielsweise am Morgen nach dem Eröffnungsspiel mit einem deutschen Staatsbürger darüber sprach, meinte er bloss: „Ach ja. Die Deutschen ham ja gespielt. Was ham’se denn gemacht?“
Ein allfälliger Achtsamkeits-Pokal wäre somit mit Sicherheit an mich gegangen! Weil, wenn du in gebückter Haltung unter einem Waschbecken Kachel für Kachel schrubbst und weisst, dass exakt genau jetzt die Schweiz gegen Ungarn spielt, dann musst du schon sehr hart an deiner Dankbarkeit arbeiten.
Sehr dankbar bin ich auch für folgende Anekdoten:
- Gleich kurz nach der Begrüssung erblicke ich draussen beim Parkplatz einen Teilnehmer, welcher erst ruhig steht, dann plötzlich ruckartig ein Bein im 90-Grad-Winkel nach vorne streckt, wieder abstellt und exakt das gleiche Prozedere mit dem anderen Bein wiederholt. Monty Pythons Silly Walk vom Feinsten. In was war ich da bloss hinein geraten? Sofort schalte ich auf Prison Break Modus, kann nur noch nicht entscheiden, auf welches Körperteil ich den Fluchtweg tätowieren will. Später am Abend relativiert sich das Ganze, als ich spazieren gehe und das dünne Absperrseil entdecke, über welches man an dieser Stelle steigen muss.
- Als wir in einer kleinen Runde wirklich mal über Fussball sprechen, meint jemand scherzhaft, wenn die Schweiz spiele, dann könnten wir doch anhand des Torjubels vom Tal herauf das Resultat erahnen. Darauf erwidert eine Frau, das stimme, sie habe ganz in der Nähe, so etwas „in der Art“ entdeckt. Alles in mir erstarrt sofort in sehnsüchtiger Begierde. Ein Public Viewing hier in der Nähe? Da könnte ich ja abends vielleicht mal für einen Match abschleichen. Aber? Hier oben ein Public Viewing? Auf dem Beatenberg? In dieser urchigen Gegend? – Es stellt sich dann heraus, dass die Frau vom Greenfield Musik Festival gesprochen hatte.
Nun ist mein „Arbeits-Retreat“ bereits wieder wunderschöne Erinnerung und ich freue mich auf meine ersten Live-Spiele sowie darauf, morgen auf der Arbeit mal abzuchecken, was denn so alles geputzt werden könnte.
* Noch ein kleines Update der Geschichte: Meinen mit grosser Freude ersehnten ersten Live-Match am Sonntag Abend (England vs. Serbien) habe ich dann nicht wegen Buddha verpasst, sondern weil ich bereits nach wenigen Minuten mit grosser Dankbarkeit achtsam eingeschlafen bin.
Danke, Patric, für den interessanten Bericht!
Ob Buddha auch gerne Fussball gespielt hätte, wenn er damals einen Ball gehabt hätte?
Toi, toi toi – auf viele schöne Tore!
EM-Grüsse Elena
Hier in Thailand finden die Spiele trotz Buddhas, Tempeln und vielen in Orange gekleidete, dankbare Mönche durchaus statt – nur verdammt spät!